Im Herbst 2021 veröffentlichte das anarchistische Kollektiv „molly“ aus Salzburg einen ausgezeichneten Leitfaden für das Schreiben von Briefen an Gefangene. Wir veröffentlichten hier seine französischsprachige Adaption.
Warum Knäste scheiße sind und was wir dagegen machen können
Ein Beispiel: Wer sich kein Essen leisten kann, sich trotzdem im Supermarkt bedient und dabei erwischt wird, bekommt Ärger. Denn es ist verboten, Dieb_in zu sein. Und wer wird zum_zur Dieb_in? Klar: Vor allem Leute, die wenig Geld haben. Leute, denen unfairerweise die Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum verwehrt wird.
Dieser Reichtum ist vorhanden: Es gibt genug Wohnraum. Es wird genug an Essen und anderen Waren produziert. Es ist genug für alle da! Allein der Zugang dazu ist ungerecht verteilt – und diese Klassenunterschiede sollen aufrecht erhalten werden. Dazu dienen dem Staat Gesetze: Diese sollen Macht- und Eigentumsverhältnisse stabilisieren. Ein großer Teil aller Gefangenen ist aufgrund von sogenannten Eigentumsdelikten eingesperrt – „Delikte“, erzeugt vom kapitalistischen System selbst.
Auch andere Herrschaftsverhältnisse werden durch das Strafsystem verfestigt. Genannt sei hier Rassismus: Leute, die von Rassismus betroffen sind, werden viel häufiger kontrolliert, festgenommen, vor Gericht gebracht und zu noch härteren Strafen verurteilt als weiße Menschen.
Und auch wer durch politischen Aktivismus das System auf eine Art und Weise angreift, die der Staat als zu bedrohlich einstuft, wird bestraft. Zum Beispiel: Auf Demos gehen, sich gegen FaschistInnen organisieren, Häuser besetzen, Graffitis sprühen, rassistische Denkmäler zerstören oder Hühner aus Legebatterien befreien.
Der Knast ist ein staatliches Werkzeug zur Einschüchterung, Isolation, Bestrafung und Unterdrückung für alle, die sich den Gesetzen nicht fügen können oder wollen. Und auch für alle, die es wagen, nur darüber nachzudenken: Eingesperrt werden steht immer als Drohung im Raum, soll Angst
machen, unser Verhalten beeinflussen.
Auch bei tatsächlichen Problemen ist das Strafsystem selten Teil der Lösung. Wer schon einmal wegen sexualisierter Gewalt bei der Polizei war, kann davon wahrscheinlich ein Lied singen. Selbst wenn es hier zu Verurteilungen kommt, wird nichts an der Wurzel des Problems verändert (Patriarchat, hallo?) und die Täter werden nur vorübergehend weggesperrt, anstatt sich kollektiv mit dem Warum? und konkreten Lösungen auseinanderzusetzen. Für viele Betroffene und Feminist_innen eine unzufriedenstellende Vorgangsweise.
Was für eine unerträgliche Scheiße! Wir sind gegen Knäste und eine Gesellschaft, die diese braucht. Was stattdessen tatsächlich notwendig ist: Kampf gegen Herrschaftsverhältnisse, das Strafsystem und eine Suche nach Alternativen.
Und Solidarität mit Gefangenen! Diese kann viele Formen annehmen, konkret z.B. auch Briefform. Im Knast soll es bewusst wenig Berührungspunkte mit der Außenwelt, mit dem sozialen Umfeld, mit politischen Bewegungen geben. Die Isolation durch Briefe zu einem gewissen Punkt zu durchbrechen kann Gefangenen sehr konkret helfen, das Leben im Knast besser auszuhalten. Dieses Zine soll in die Praxis des Gefangenenschreibens einführen und Tipps und Anhaltspunkte geben.
Schritt 1: Die eigenen Ressourcen checken
Gefangenen zu schreiben ist eine tolle Sache und kommt mit ziemlich viel Verantwortung. Briefe sind einzelne schöne Lichtblicke im grauen Gefängnisalltag. Wenn Brieffreund_innen dann plötzlich nicht mehr antworten, kann das sehr verletzend sein und Gefühle von Isolation und Vergessenwerden verstärken. Um das zu verhindern macht es Sinn, sich einige Fragen zu stellen, bevor man den Stift zu Hand nimmt.
Finanziell: Jeder Brief kostet Geld, ebenso das Material wie Kuverts und co. Für viele Gefangene ist es außerdem eine Entlastung, wenn du ihnen Briefmarken mitschickst, da sie selbst oft in einer prekären finanziellen Situation sind. Sollte der finanzielle Teil eine Hürde für dich darstellen: Anarchist Black Cross-, Rote Hilfe- oder Antirepressions-Gruppen bieten oft Unterstützung an!
Zeitlich: Wie oft kannst du dir vorstellen einen Brief zu schreiben? Solltest du nur selten oder unregelmäßig schreiben können: Kommuniziere das an den_die Gefangene_n! Dann kann er_sie selbst entscheiden, ob und in welcher Form er_sie in Kontakt mit dir sein möchte.
Du kannst auch nur einzelne Karten oder Briefe schicken, ohne gleich einen regelmäßigen Austausch zu beginnen. Für Gefangene ist es so oder so schön, Post zu erhalten. Wichtig ist vor allem, dass du deine Absichten klar kommunizierst.
Emotional: Das Leben hinter Gittern ist oft nervig, ermüdend, scheiße, langweilig, unerträglich. Wenn es der Person, mit der du schreibst, gerade nicht gut geht, dann kann es gut sein, dass du das sehr konkret mitbekommst. Darauf solltest du eingestellt sein.
Schritt 2: Adressen finden
Listen mit Adressen von Gefangenen findest du unter anderem auf den folgenden Webseiten:
www.abc-wien.net
www.solidarity.international
www.political-prisoners.net
Schritt 3: Schreiben
Jetzt kommt der aufregendste Teil! Vielen Leuten fällt es anfangs schwer, einer Person zu schreiben, die sie nicht wirklich kennen. Hier ein paar Ideen für den Inhalt deines ersten Briefes.
Sicherheit
Bullen lesen oft mit, vor allem bei Leuten in U-Haft und „schwierigen“ Gefangenen. Deshalb solltest du nur Dinge schreiben, bei denen es unproblematisch ist, wenn sie von Anderen gelesen werden. Wichtig: Schreib nicht über die Vorwürfe, die dem_der Gefangenen angelastet werden – ganz besonders bei U-Haft und vor Verhandlungen.
Pseudonym und Absendeadresse
Es ist sinnvoll, unter einem Pseudonym zu schreiben, vor allem, wenn du politischen Gefangenen schreibst. Als Absendeadresse bietet sich ein linker Raum in deiner Nähe an – ein autonomes Zentrum, ein Infoladen, ein linkes Beisl. Frag nach, ob du ihre Adresse verwenden darfst und ob sie Gefangenenpost für dich entgegennehmen können.
Schritt 4: Frankieren, adressieren, absenden
Gib unbedingt eine Absendeadresse an! Briefe ohne Absender_in werden im Knast meist nicht ausgehändigt. Und wenn du möchtest, dass dir der_die Gefangene antworten kann, schreib die Adresse auch jedes mal in den Brief, denn Gefangene erhalten ihre Post zum Teil ohne Kuverts und dürfen Briefe manchmal nicht länger aufbewahren. Solltest du das Gefühl haben, dass deine Briefe abhanden kommen, kann es Sinn machen, sie als Einschreiben zu verschicken.
Und Schritt 5: Auf eine Antwort warten!
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